Aktuelle Pressemitteilungen

CarePath: Weg von reiner Krankheitsbehandlung hin zur integrierten Gesundheitsversorgung

EU-Projekt unterstützt Menschen mit chronischen Erkrankungen bei Durchführung ihrer Behandlung / Care Path Toolbox kombiniert digitale Lösungen und menschliche Unterstützung

Zwei Umrisse von orangefarbenen Herzen und Schriftzug CarePath

Würzburg. Dank medizinischer Fortschritte lassen sich heute viele chronische Erkrankungen erfolgreich behandeln. Doch das allein reicht oft nicht aus. Studien zeigen: Rund die Hälfte der Betroffenen nimmt ihre Medikamente nicht regelmäßig oder nicht wie verordnet ein. Diese mangelnde Adhärenz, also die fehlende Therapietreue, hat verschiedene Gründe: Einige vergessen ihre Medikamente, werden nicht unterstützt oder gar stigmatisiert, andere leiden unter Nebenwirkungen oder können sich die Behandlung nicht leisten und wieder andere verstehen nicht genau, warum die Einnahme so wichtig ist.

Fokus liegt auf Adipositas, Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Hier setzt das neue EU-Forschungsprojekt CarePath an, das gerade gestartet wurde und von der Innovative Health Initiative (IHI) über einen Zeitraum von fünf Jahren mit fast 20 Millionen Euro gefördert wird. Im Rahmen von CarePath entwickeln Fachleute aus Europa und den USA praxisnahe Werkzeuge, mit denen chronisch Erkrankte ihre Behandlung auf eine Weise fortsetzen können, die mit ihren persönlichen Bedürfnissen, Werten und ihrem Wohlbefinden im Einklang steht. Der Fokus liegt dabei auf drei weit verbreiteten Erkrankungen: Adipositas, Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das Projekt deckt sowohl die Primärversorgung, beispielsweise in Allgemeinarztpraxen und Apotheken, als auch die Sekundärversorgung in Krankenhäusern und Fachkliniken ab.

CarePath Toolbox kombiniert digitale Lösungen und menschliche Unterstützung 

Kern ist ein digitaler Werkzeugkasten, die CarePath Toolbox, die unter anderem mobile Anwendungen (Apps) bietet. Diese unterstützen Menschen dabei, eine aktive Rolle in ihrer Behandlung zu übernehmen und mit ihrem Behandlungsteam in Kontakt zu bleiben. Mithilfe einfacher Instrumente (sogenannte PROMs = Patient Reported Outcome Measures und PREMs = Patient Reported Experience Measures) sollen das Befinden und die Erfahrungen erfasst werden. Kurze, benutzerfreundliche Fragebögen sollen dabei helfen, zu erkennen, wann jemand zusätzliche Unterstützung benötigt. Das kann zum Beispiel der Fall sein bei Schmerzen, Erschöpfung, Mobilität oder in der Versorgung. Fühlt sich die Person ausreichend gehört, unterstützt und über Behandlungsoptionen informiert? Die Kombination aus digitalen Lösungen und menschlichen Unterstützungssystemen kann auf unterschiedliche Gesundheitsumgebungen zugeschnitten werden.

Um sicherzustellen, dass die entwickelten Werkzeuge tatsächlich hilfreich sind, wird das CarePath-Team zunächst Erkenntnisse von Patientinnen und Patienten, medizinischem Fachpersonal sowie weiteren wichtigen Interessengruppen sammeln. Zudem werden bestehende Strategien analysiert, um zu verstehen, was in welcher Situation für wen am besten funktioniert.

Für die Erprobung der Toolbox wurden aufgrund ihrer vielfältigen Gesundheitssysteme und Bevölkerungsstrukturen die folgenden sechs Länder ausgewählt: Deutschland, Spanien, die Niederlande, Polen, Schweden und Israel.

UKW leitet klinische Validierung der Toolbox und organisiert Hackathons

Aus der Universitätsmedizin Würzburg sind das Deutsche Zentrum für Herzinsuffizienz (DZHI), die Medizinische Klinik und Poliklinik I sowie das Institut für Klinische Epidemiologie und Biometrie (IKE-B) und das Institut für Medizinische Datenwissenschaften (ImDS) an CarePath beteiligt. Im Arbeitsbereich „Innovation Toolbox” leiten die Würzburger Forscherinnen und Forscher beispielsweise die wissenschaftliche Begleitung und klinische Validierung der Toolbox-Optimierung. „Wir rekrutieren am DZHI Patientinnen und Patienten, mit denen wir die verschiedenen Entwicklungsstufen der Toolbox testen und passgenaue Empfehlungen zur patienten-zentrierten Optimierung erarbeiten”, erläutert der angehende Kardiologe und Projektleiter Dr. Fabian Kerwagen. Insgesamt werden am DZHI sieben bis acht Testzyklen organisiert und koordiniert, in denen die digitale Toolbox von den Patientinnen und Patienten getestet wird, um sie für die Versorgung von Menschen mit chronischen Erkrankungen – in diesem Fall kardiovaskulären Erkrankungen und Herzinsuffizienz – zu optimieren.

In einem weiteren Teilprojekt wird das DZHI gemeinsam mit Prof. Rüdiger Pryss sogenannte Hackathons in Würzburg organisieren. Dabei kommen Patientinnen und Patienten, Selbsthilfegruppen sowie Expertinnen und Experten aus den Bereichen Medizin und Informatik zusammen, um praxisnahe Lösungen zur Verbesserung der Medikamentenadhärenz und -persistenz zu erarbeiten. Der Begriff "Hacken" ist hier also durchaus positiv besetzt und geht auf seinen Ursprung zurück, nämlich dem kreativen Experimentieren mit Technik. Pryss, Professor für Medizinische Informatik am IKE-B und ImDS organisierte im Februar 2024 den ersten Healthcare Hackathon in Würzburg und 2025 einen Folge-Hackathon. Dabei fanden Hackerinnen und Hacker aus Bayern und ganz Deutschland innerhalb kurzer Zeit technologische Lösungen für medizinische Herausforderungen.

Darüber hinaus bringt das Uniklinikum Würzburg (UKW) in zahlreichen weiteren Arbeitspaketen seine klinische Expertise ein.

Adhärenz ist keine Frage der Disziplin, sondern der guten Begleitung

„Mit unserer Toolbox erhoffen wir uns weniger Therapieabbrüche, eine höhere Lebensqualität, bessere Gesundheit und eine langfristige Entlastung des Gesundheitssystems“, sagt Prof. Dr. Stefan Störk, Leiter der Herzinsuffizienzambulanz und des Departments für klinische Forschung und Epidemiologie am DZHI. „Adhärenz ist weniger eine Frage der Disziplin, sondern vielmehr der guten Begleitung. Genau das wollen wir mit CarePath bieten: moderne, verständliche und alltagstaugliche Hilfe für Menschen, die ihre Gesundheit selbst in die Hand nehmen möchten.“

Finanzierung und Projektpartner:
CarePath wird von der Innovative Health Initiative Joint Undertaking (IHI JU) im Rahmen der Finanzhilfevereinbarung Nr. 101192133 unterstützt. Die JU erhält Fördermittel aus dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont Europa der Europäischen Union sowie von COCIR, EFPIA, EuropaBio, MedTech Europe und Vaccines Europe. Der EU-Zuschuss beträgt 11.300.000 Euro, die Industrie fördert das Projekt mit insgesamt 9.782.965 Euro.

Das Akronym „CarePath” steht für „Collaborative action and research for engagement, persistence and adherence in treatment & health”. Start war im Mai 2025. Die Laufzeit beträgt 60 Monate. CarePath wird vom RISE Research Institutes of Sweden AB koordiniert und von Novo Nordisk A/S geleitet. Weitere Informationen zum Projekt und eine Liste der Projektpartner gibt es hier: https://www.ihi.europa.eu/projects-results/project-factsheets/carepath

 

Zwei Umrisse von orangefarbenen Herzen und Schriftzug CarePath

Erster Patient der LION-1-Studie erhält Immunzelltherapie gegen neues Zielmolekül

ROR1-spezifische CAR-T-Zellen gehen am Uniklinikum Würzburg nun erstmals in die klinische Prüfung

Studienteam im Klinikflur mit weißen Kittel und Kasacks
Das Team des neu entstandenen Clinical Trial Center des NCT WERA, das an die Early Clinical Trial Unit (ECTU) angegliedert ist, ist für die aufwendige Durchführung der Studie verantwortlich. Auf dem Bild (v.l.n.r.): Simon Elsner, Dr. Maria-Elisabeth Goebeler, Prof. Dr. Martin Fassnacht, Prof. Dr. Sophia Danhof, Dr. Jessica Peter, Dr. Lukas Scheller, PD Dr. Jochen Frietsch, Anna Krug, Prof. Dr. Hermann Einsele, Sylvia Brand, Martin Kümpel, Prof. Dr. Carmina Fuß. © Christina Borschein / UKW
Zwei Personen mit Reinraumoverall, Maske, Handschuhen etc. im Reinraum
Die klinischen Prüfpräparate für die LION-1-Studie werden im Reinraum am Fraunhofer IZI in Leipzig unter GMP-Standards hergestellt. © Fraunhofer IZI

Würzburg. Im Rahmen der klinischen Phase I-Studie LION-1 wurde der erste Patient mit dem neu entwickelten Medikament behandelt. Bis zu 46 Patientinnen und Patienten erhalten im Verlauf der Studie modifizierte Immunzellen (T-Zellen), die gezielt gegen das Protein ROR1 gerichtet sind, welches bei verschiedenen Krebsarten auf den Tumorzellen vorkommt. So ausgerüstet sollen die T-Zellen die Tumorzellen erkennen und bekämpfen.

Umgesetzt wird die Studie am neu entstandenen Clinical Trial Center des NCT WERA, das an die von Dr. Maria-Elisabeth Goebeler geleitete Early Clinical Trial Unit (ECTU) angegliedert ist. Das Studienteam ist für die aufwändige Durchführung der Studie verantwortlich und koordiniert die beteiligten Fachbereiche, aus denen die Patientinnen und Patienten zugewiesen werden. Studienleiter der LION-1-Studie ist Prof. Dr. Hermann Einsele, Direktor der Medizinischen Klinik II am UKW und Sprecher des NCT WERA.

Weltweit erste CAR-T-Zell-Studie bei Nebennierenkarzinom

Bereits im Vorfeld waren dem ersten Patienten körpereigene T-Zellen entnommen worden, die dann im Labor des Fraunhofer-Instituts für Zelltherapie und Immunologie (IZI) in Leipzig mit dem sogenannten CAR-Rezeptor (chimärer Antigenrezeptor) ausgestattet wurden. Nun startet die Behandlung: Die umprogrammierten Immunzellen werden per Infusion zurück in den Blutkreislauf gebracht. Dort sollen die ROR1-CAR-T-Zellen die Krebszellen erkennen und zerstören. Der Patient ist an einem Nebennierenkarzinom erkrankt und die aktuellen Standardtherapien wurden bereits ausgeschöpft. „Das ist die weltweit erste CAR-T-Zell-Studie bei dieser seltenen bösartigen Entartung der Nebenniere“, beschreibt der behandelnde Endokrinologe Prof. Dr. Martin Fassnacht.

LION-1-Studie soll die Verträglichkeit der Behandlung abstecken

Prof. Dr. Sophia Danhof ist Fachärztin für Innere Medizin und Professorin für Zelluläre Immuntherapie von malignen Erkrankungen. Sie leitet die Behandlung und beschreibt die Erwartungen an die Studie: „Wir wollen wissen, wie der Körper die neue Behandlung verträgt. Welche Nebenwirkungen können auftreten, und welche Dosis ist die richtige? Gleichzeitig hoffen wir auf erste, wenn auch vorsichtige Anzeichen, dass die Therapie wirkt. Das können beispielsweise Rückgänge im Tumorwachstum, eine Verbesserung des Gesundheitszustands oder messbare Reaktionen im Immunsystem sein.“

Innerhalb der Studie werden zwei Patientengruppen untersucht – eine Gruppe mit Patientinnen und Patienten, die an Blutkrebserkrankungen wie Mantelzelllymphom oder chronischer lymphatischer Leukämie leiden, und eine  Gruppe mit Patientinnen und Patienten, die an soliden Tumoren wie Eierstock-, Brust- oder Nebennierenrindenkrebs leiden. Insgesamt sind bis zu 23 Patientinnen und Patienten pro Gruppe geplant. „Um diese Anzahl zu erreichen, werden neben Würzburg weitere Standorte miteinbezogen,“ so Prof. Danhof.  

ROR1 ist ein vielversprechendes Ziel auch für schwer behandelbare Tumoren

Die Etablierung einer Therapie mit ROR1-CAR-T Zellen wäre ein Meilenstein, da davon auch Krebserkrankte mit soliden Tumoren profitieren könnten. Diese sind mit einer derartigen Immuntherapie bislang kaum behandelbar.

Prof. Michael Hudecek, Sponsorvertreter der Studie, erklärt: „ROR1 ist ein vielversprechendes Ziel, weil es auf vielen Tumorzellen vorkommt, aber selten in gesunden Geweben.“ Das Forschungsteam seines Lehrstuhls für Zelluläre Immuntherapie des Uniklinikums hat die ROR1-spezifischen CAR-T-Zellen konstruiert.

Routinierter Partner für die patientenindividuelle Herstellung

Die Herstellung der klinischen Prüfpräparate für die LION-1-Studie erfolgt am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie in Leipzig nach dem pharmazeutischen Standard der Guten Herstellungspraxis (GMP – Good Manufacturing Practice). Das Fraunhofer IZI verfügt über umfassende Erfahrungen mit der Herstellung von CAR-T-Zelltherapeutika und war bereits an der präklinischen Entwicklung der ROR-1-Therapie beteiligt.

In den modernen Reinräumen der Abteilung „GMP Zell- und Gentherapie“ werden zunächst spezifische Immunzellen des Patienten isoliert und angereichert. Anschließend wird die genetische Information für den neuartigen CAR-Rezeptor stabil in das Genom der T-Zellen integriert. Die Zellen werden dann über mehrere Tage hinweg vermehrt. Im Gegensatz zu allen bislang zugelassenen CAR-T-Zelltherapien, kommt dabei die virusfreie Sleeping-Beauty-Transposon-Technologie zum Einsatz.

Nach umfassenden Qualitätsanalysen und der pharmazeutischen Freigabe wird das Präparat zum Prüfstandort zurückgesendet, wo die Behandlung erfolgen kann. Die Herstellung der CAR-T-Zellen für den zweiten Patienten ist bereits abgeschlossen, sodass die Behandlung zeitnah erfolgen kann.

Text: Christina Bornschein / Lehrstuhl für Zelluläre Immuntherapie

Mehr zur Studie: Mit LION-1 startet erste NCT WERA-Brückenstudie

Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT)
Das NCT ist eine langfristig angelegte Kooperation zwischen dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), exzellenten Partnern in der Universitätsmedizin und weiteren herausragenden Forschungspartnern an verschiedenen Standorten in Deutschland: Berlin, Dresden, Heidelberg, SüdWest (Tübingen-Stuttgart/Ulm), WERA (Würzburg mit den Partnern Erlangen, Regensburg und Augsburg) und West (Essen/Köln). Der NCT Ausbau im Jahr 2023 von den ursprünglich zwei Standorten Heidelberg und Dresden auf sechs Standorte wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Nationalen Dekade gegen Krebs angetrieben und durch die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Sachsen unterstützt. Ziel des NCT ist, Innovationen in der Krebsforschung in Deutschland zielgerichtet und schnell in Studien zu überführen, um Krebs nach neuestem Stand der Forschung erfolgreich zu diagnostizieren und unter Beibehaltung einer hohen Lebensqualität zu behandeln. Patientinnen und Patienten sind dabei Forschungspartner auf Augenhöhe.

 

Studienteam im Klinikflur mit weißen Kittel und Kasacks
Das Team des neu entstandenen Clinical Trial Center des NCT WERA, das an die Early Clinical Trial Unit (ECTU) angegliedert ist, ist für die aufwendige Durchführung der Studie verantwortlich. Auf dem Bild (v.l.n.r.): Simon Elsner, Dr. Maria-Elisabeth Goebeler, Prof. Dr. Martin Fassnacht, Prof. Dr. Sophia Danhof, Dr. Jessica Peter, Dr. Lukas Scheller, PD Dr. Jochen Frietsch, Anna Krug, Prof. Dr. Hermann Einsele, Sylvia Brand, Martin Kümpel, Prof. Dr. Carmina Fuß. © Christina Borschein / UKW
Zwei Personen mit Reinraumoverall, Maske, Handschuhen etc. im Reinraum
Die klinischen Prüfpräparate für die LION-1-Studie werden im Reinraum am Fraunhofer IZI in Leipzig unter GMP-Standards hergestellt. © Fraunhofer IZI

„KDIGO ist bei Christoph Wanner in den besten Händen“

Die internationale Leitlinienorganisation KDIGO (Kidney Disease: Improving Global Outcomes) wählte Prof. Dr. Christoph Wanner zum Co-Vorsitzenden. Der Würzburger Nephrologe wird den Vorsitz ab Januar 2026 übernehmen

Porträt von Christoph Wanner mit dunklem Anzug und weinroter Krawatte im Flur des ZIM.
Prof. Dr. Christoph Wanner vom Uniklinikum Würzburg wird ab Januar 2016 den Vorsitz der internationalen Leitlinienorganisation KDIGO (Kidney Disease: Improving Global Outcomes) übernehmen. © Daniel Peter / UKW

Würzburg. Etwa zehn bis 15 Prozent der Weltbevölkerung leiden an einer chronischen Nierenerkrankung (CKD, englisch für Chronic Kidney Disease). Die meisten Betroffenen wissen jedoch nichts davon, da CKD lange Zeit ohne Symptome verläuft und erst im fortgeschrittenen Stadium erkannt wird. Umso wichtiger sind daher präventive Maßnahmen. Neben einem gesunden Lebensstil und der Vermeidung von Risikofaktoren ist vor allem die jährliche Kontrolle der Nierenwerte und des Urins bei gefährdeten Personen entscheidend. Ein erhöhtes Risiko besteht beispielsweise bei Diabetes, Bluthochdruck oder familiärer Vorbelastung. Eine frühzeitige Diagnose und leitliniengerechte Therapie können das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen, die Lebensqualität der Betroffenen verbessern und eine Dialyse oder Nierentransplantation verhindern. 

KDIGO entwickelt weltweit einheitliche, evidenzbasierte Leitlinien für die Diagnose, Behandlung und Prävention von Nierenerkrankungen

Die globale, unabhängige Organisation KDIGO (Kidney Disease: Improving Global Outcomes) setzt sich dafür ein, dass Menschen mit Nierenerkrankungen überall auf der Welt nach den besten verfügbaren medizinischen Standards behandelt werden. Zu diesem Zweck entwickelt KDIGO einheitliche Leitlinien, die auf dem neuesten Stand der Forschung basieren, von den weltweiten Fachgesellschaften anerkannt sind und häufig lokal adaptiert werden. Bekannte KDIGO-Leitlinien gibt es unter anderem zu CKD, akuten Nierenschädigungen, Nierentransplantationen, dem Blutdruck- und Diabetesmanagement, der Anämie und dem Mineral- und Knochenstoffwechsel bei CKD. Ärztinnen und Ärzte auf der ganzen Welt können sich somit bei der Vorbeugung, Diagnose und Behandlung von Nierenerkrankungen an klaren Empfehlungen orientieren. Darüber hinaus fördert die in Brüssel ansässige Stiftung den Austausch zwischen Forschenden und Klinikern, identifiziert Forschungslücken und regt neue Studien an.

Ab Januar 2026 übernimmt Christoph den Vorsitz von KDIGO

Prof. Dr. Christoph Wanner, Seniorprofessor am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz (DZHI) am Uniklinikum Würzburg sowie Gastprofessor für Nephrologie an der University of Oxford in England, wurde nun gemeinsam mit Dr. Morgan Grams (NYU Langone Health, USA) vom KDIGO-Exekutivausschuss zum Co-Vorsitzenden gewählt. Im Januar 2026 wird Wanner den Vorsitz von KDIGO übernehmen. Die Co-Vorsitzenden sind die höchsten Führungspersönlichkeiten der Stiftung. Sie gestalten die strategische Ausrichtung, setzen Prioritäten, überwachen Programme und sichern die Qualität, Relevanz und klinische Umsetzbarkeit der wissenschaftlichen Arbeit von KDIGO. 

„KDIGO hätte keine bessere Wahl treffen können“, kommentiert Dr. Michel Jadoul von den Cliniques Universitaires Saint-Luc der UCLouvain in Belgien, der dieses Ehrenamt seit 2019 innehat und sein Mandat Ende Dezember 2025 beenden wird. „Christoph ist brillant, hoch angesehen in der Fachwelt und zutiefst der Mission von KDIGO verpflichtet. Ich arbeite seit vielen Jahren mit ihm zusammen und bin sicher, dass er der Organisation hervorragende Impulse geben wird. KDIGO ist in besten Händen.“
Auch Morgan Grams, Nephrologin, Epidemiologin und Statistikerin, freut sich sehr, dass sich Christoph Wanner ihr als Co-Vorsitzender von KDIGO anschließt: „Christoph bringt herausragende Fachkenntnisse, klinisches Feingefühl und intellektuelle Tiefe in alles ein, was er tut. Zudem ist er ein äußerst kooperativer und großzügiger Kollege. KDIGO kann sich glücklich schätzen, ihn in dieser Rolle zu haben.“

Wanner brachte Würzburger Nephrologie auf die Weltbühne

Christoph Wanner leitete fast 30 Jahre lang die Nephrologie in der Medizinischen Klinik und Poliklinik I am Universitätsklinikum Würzburg (UKW) und etablierte die Würzburger Nephrologie auf der internationalen Bühne (siehe Meldung vom 28.03.2023). Der Vater von drei Söhnen leistete bedeutende Beiträge zu verschiedenen Bereichen – insbesondere zur diabetischen Nierenerkrankung, zum kardiovaskulären Risiko bei Dialysepatienten, zu Fettstoffwechselstörungen sowie zu seltenen Nierenerkrankungen. Er war Präsident der European Renal Association (ERA) und spielte eine führende Rolle in wichtigen klinischen Studien, darunter die „Die Deutsche-Diabetes-Dialyse-Studie“ (4D-Studie), SHARP und EMPA-KIDNEY (siehe Meldung vom 18.11.2022). 

Wanner ist seit Langem ehrenamtlich für KDIGO tätig und hatte bereits zahlreiche Funktionen innerhalb der Organisation inne. Er war Mitglied des KDIGO-Exekutivausschusses, Ko-Vorsitzender der KDIGO-Leitlinie zu Lipiden bei CKD sowie Mitglied der Arbeitsgruppen für die KDIGO-Leitlinien zu Diabetes 2020 und 2022. Darüber hinaus engagierte er sich in zahlreichen Programmen von KDIGO, darunter Controversies Conferences, Implementation Summits und Bildungsinitiativen. 

„KDIGO ist eine weltweit anerkannte Institution für vertrauenswürdige, evidenzbasierte Leitlinien, die die Versorgung von Nierenpatientinnen und -patienten weltweit prägen und wesentlich zur Qualitätssicherung in der Nephrologie beitragen. Es ist mir eine Ehre, als Co-Vorsitzender zu dienen und die Mission von KDIGO zu unterstützen: bessere Ergebnisse für Menschen mit Nierenerkrankungen durch internationale Zusammenarbeit, klinische Exzellenz und wirksame Umsetzung“, kommentiert Wanner seine Ernennung.
 

Porträt von Christoph Wanner mit dunklem Anzug und weinroter Krawatte im Flur des ZIM.
Prof. Dr. Christoph Wanner vom Uniklinikum Würzburg wird ab Januar 2016 den Vorsitz der internationalen Leitlinienorganisation KDIGO (Kidney Disease: Improving Global Outcomes) übernehmen. © Daniel Peter / UKW

Virtuelle Realität verbessert langfristiges Lernen in der Notfallmedizin

Medizinstudierende sind durch ein Training mit virtueller Realität (VR) langfristig besser auf medizinische Notfälle vorbereitet als durch traditionelle Lehrmethoden

Eine Medizinstudierende bewegt sich mit virtueller Brille in einem Untersuchungsraum
VR-Simulation in der Lehrklinik des Uniklinikums Würzburg. © Annett Köhler / AG VR Simulation im Medizinstudium
Collage aus vier Bildern mit Feedback-Komponenten
Bei der interaktiven VR-Simulation eines Notfalls gab es verschiedene Feedback-Komponenten wie positive Benachrichtigungen in grün für korrekt ausgeführte Aktionen, oben im Bild eine Echokardiografie, sowie als direkte Ausgabe von medizinischen Geräten (EKG), Ergebnisse der Diagnostik im virtuellen Computermenü und eine abschließende Bewertung im Checklistenformat. © AG VR Simulation im Medizinstudium

Würzburg. In den ersten Berufsjahren stehen junge Ärztinnen und Ärzte oft vor der Herausforderung, unter Zeitdruck schnell Entscheidungen zu treffen, Aufgaben richtig zu priorisieren und auf wichtige praktische Erfahrungen zurückzugreifen. Gerade in Notfallsituationen sind diese Fähigkeiten von entscheidender Bedeutung. Genau hier setzt die Technologie der virtuellen Realität (VR) an. Sie ermöglicht realistische und interaktive Lernszenarien, in denen Studierende risikofrei anhand standardisierter Notfallfälle trainieren können.

Erkenntnisse wurden im Journal of Medical Internet Research veröffentlicht

Am Uniklinikum Würzburg (UKW) wurde dafür gemeinsam mit dem Münchner 3D-Visualisierungsunternehmen ThreeDee, das VR-basierte Trainingsprogramm STEP-VR (Simulation-based Training of Emergencies for Physicians using Virtual Reality) entwickelt. Unter welchen Voraussetzungen lässt sich dieses VR-Training am besten in die medizinische Lehre integrieren, um die Notfallkompetenz angehender Ärztinnen und Ärzte nachhaltig zu stärken? Diese Frage erforscht die Arbeitsgruppe „Virtual Reality Simulation im Medizinstudium“ unter der Leitung von Dr. Tobias Mühling. „Bislang gab es nur begrenzt belastbare Belege dafür, welche objektiven Lerneffekte VR-basierte Notfalltrainings sowohl kurzfristig als auch langfristig erzielen können. Mit unseren neuesten Untersuchungen konnten wir jedoch zeigen, dass virtuelle Realität eine wertvolle Ergänzung zu bestehenden Trainingsmethoden in der medizinischen Ausbildung sein kann – besonders, wenn es darum geht, wichtige Inhalte nachhaltig zu vermitteln“, sagt Tobias Mühling. Die Ergebnisse wurden im renommierten Journal of Medical Internet Research veröffentlicht. 

Im Rahmen der randomisiert-kontrollierten Studie wurden 72 Medizinstudierende zu zwei häufigen Notfällen – Herzinfarkt und Atemnot bei chronischer Lungenerkrankung – geschult. Die eine Hälfte von ihnen (Interventionsgruppe) absolvierte eine interaktive VR-Simulation mit automatischem Feedback, die andere Hälfte (Kontrollgruppe) absolvierte interaktive Videoseminare.

VR-Training wirkungsvoller, spannender und hilfreicher 

Direkt nach dem Training schnitten beide Gruppen beim Wissenstest ähnlich gut ab. Nach 30 Tagen zeigte sich jedoch ein klarer Vorteil für die VR-Gruppe: Ihre Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten sich deutlich mehr Wissen merken. Insgesamt bewerteten die Studierenden das VR-Training auch als wirkungsvoller, spannender und hilfreicher. Während des virtuellen Trainings stieg zwar die körperliche Stressreaktion, gemessen über Hautsensoren, an, doch dieser Stress hatte kaum Einfluss auf das Lernergebnis. Auch das subjektive Stressempfinden der Teilnehmenden spielte keine große Rolle. 

„Unser Fazit lautet: Selbstgesteuerte, VR-basierte Notfalltrainings mit automatischem Feedback können motivieren und sind langfristig wirksamer. Wir gehen also davon aus, dass die Studierenden das Wissen aus solchen Simulationen auch mit in den Berufsalltag nehmen“, so Tobias Mühling.

Publikation:
Marco Lindner, Tobias Leutritz, Joy Backhaus, Sarah König, Tobias Mühling. Knowledge Gain and the Impact of Stress in a Fully Immersive Virtual Reality–Based Medical Emergencies Training With Automated Feedback: Randomized Controlled Trial. J Med Internet Res 2025;27:e67412 doi: 10.2196/67412PMID: 40465566

Text: Wissenschaftskommunikation /KL

Mit Antikörpern beladene Vliese sollen das Immunsystem stimulieren

Oft tauchen Jahre nach scheinbar überstandenen Brustkrebs-Erkrankungen doch noch Metastasen auf. In solchen Fällen haben Krebszellen unauffällig im Körper überdauert, sind gewandert und wachsen nun im Gehirn, der Leber, der Lunge oder der Haut weiter.

Vliese aus Kieselgelfasern
So sehen die Vliese aus Kieselgelfasern aus, die für einen Einsatz in der Krebstherapie weiterentwickelt werden. (Bild: Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC)
Immunzellen (rot) attackieren Brustkrebszellen (grün) in einem 3D-Gewebemodel
Immunzellen (rot) attackieren Brustkrebszellen (grün) in einem 3D-Gewebemodell. Die Zellkerne sind blau. Immunfluoreszenzfärbung eines Gewebeschnitts. (Bild: Universitätsklinikum Würzburg)
Gesponnenes Vlies
Ein gesponnenes Vlies soll als lokale Trägermatrix für T-Zell-aktivierende Antikörper dienen. (Bild: Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC)

Auf der Haut erscheinen die Metastasen als gut eingrenzbare Flächen. Theoretisch könnten sie darum relativ zielgenau lokal behandelt werden – doch in der Praxis sprechen sie meist nicht auf die gängigen Behandlungsformen an. Dieses Problem wollen Würzburger Forschende mit einer innovativen Herangehensweise lösen.

Die Idee: Hauchfeine Gewebe aus Kieselgel werden mit Antikörpern beladen und mit den Hautmetastasen in Kontakt gebracht. Die Antikörper stimulieren das Immunsystem dazu, die Krebszellen anzugreifen. Die Metastasen bilden sich zurück oder verschwinden im Idealfall komplett.

1,5 Millionen Euro vom Bundesforschungsministerium

Um dieses Ziel zu erreichen, haben sich in Würzburg Forschende der Julius-Maximilians-Universität (JMU), des Universitätsklinikums (UKW) und des Fraunhofer-Instituts für Silicatforschung ISC zusammengetan. Das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt fördert das Vorhaben des Verbunds mit 1,5 Millionen Euro für drei Jahre ab April 2025.

Der JMU-Immunologe Dr. Niklas Beyersdorf koordiniert den Verbund: „Am Ende der Projektlaufzeit möchten wir einen Medikamenten-Prototypen haben, der dann noch weiter studiert und entwickelt werden muss, bevor erste Tests an Menschen möglich sind.“ Als Fernziel seien pflasterartige Kieselgel-Vliese für größere, geschwürige Metastasen denkbar, aber auch sehr kleine Vliese, die in die Metastasen injiziert werden. So könnte Patientinnen am Ende eine sichere, kostengünstige und einfach zu handhabende zusätzliche Therapieoption zur Verfügung stehen.

Neben dem metastasierten Brustkrebs kommen auch andere Krebsformen für die Anwendung infrage, etwa das metastasierte maligne Melanom oder Kopf-Hals-Tumoren, etwa in der Mundhöhle oder der Nase. „Der neue Therapie-Ansatz stillt damit nicht nur einem sehr hohen medizinischen Bedarf, sondern verspricht auch wirtschaftliche Rentabilität“, sagt Beyersdorf.

Expertise aus drei Institutionen vereint

Die neuartige lokale Immuntherapie wird in einem interdisziplinären Ansatz zwischen Materialwissenschaften, Immunologie und Tissue Engineering (Gewebezüchtung) entwickelt.

Die auf Basis der RENACER®-Materialplattform hergestellten Vliese werden bei Dr. Jörn Probst am Fraunhofer ISC/TLZ-RT designt. Die eingesetzte Kieselgel-Variante ist ein biologisch gut verträgliches Material, das im Körper mit der Zeit von alleine zerfällt. Wie lange das Kieselgel in Faserform bleiben soll, bevor es vollständig zu Monokieselsäure abbaut, lässt sich bei der Produktion des Materials einstellen. Zu klären gilt es im Team von Dr. Probst unter anderem, welche Struktur die Vliese haben und wie sie mit Antikörpern beladen werden müssen, um ihren Job gegen Hautmetastasen so gut wie möglich erledigen zu können.

Die Wirkung der Vliese auf Zellen des Immunsystems, insbesondere auf T-Zellen, wird in der Gruppe von Dr. Niklas Beyersdorf am JMU-Institut für Virologie und Immunbiologie untersucht. Dabei geht es darum herauszufinden, welche Vlies-Typen besonders gut geeignet sind, T-Zellen zu aktivieren. Die Aktivierung durch die Vliese soll die T-Zellen in die Lage versetzen, die Brustkrebszellen in der Metastase anzugreifen und zu zerstören.

Das Team von Dr. Gudrun Dandekar am UKW-Lehrstuhl für Funktionswerkstoffe der Medizin und Zahnheilkunde (FMZ) ist in der Lage zu testen, wie gut die Aktivierung von T-Zellen mit Antikörper beladenen Vliesen gegen Metastasen wirkt. Das wird mit einem neu entwickelten 3D-Gewebemodell für den metastasierten Brustkrebs gemacht. Das Modell wird mit T-Zellen beladen und mit den Antikörper-Vliesen in Kontakt gebracht. So lässt sich deren Wirkung ganz ohne Tierversuche beurteilen. Weil das 3D-Testmodell ausschließlich aus menschlichen Zellen aufgebaut wird, hat es eine sehr hohe Vorhersagekraft für zukünftige Anwendung bei Patientinnen und Patienten.

Vorhaben der Fördermaßnahme VIP+

Das Verbundprojekt heißt „Krebs-Immuntherapie durch lokale T-Zell-Aktivierung über mit monoklonalen Antikörpern beschichtete Vliese“ (KITAMAKI). Das Bundesforschungsministerium fördert es im Rahmen der Maßnahme „Validierung des technologischen und gesellschaftlichen Innovationspotenzials wissenschaftlicher Forschung – VIP+“. Diese verfolgt das Ziel, die Anwendungspotenziale exzellenter Forschung noch schneller und effektiver zu identifizieren und für Wirtschaft und Gesellschaft nutzbar zu machen.

 

Kontakt
PD Dr. Niklas Beyersdorf, KITAMAKI-Verbundkoordinator, Institut für Virologie und Immunbiologie, Universität Würzburg, niklas.beyersdorf@ uni-wuerzburg.de

Pressemitteilung der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg vom 26. Mai 2025

Vliese aus Kieselgelfasern
So sehen die Vliese aus Kieselgelfasern aus, die für einen Einsatz in der Krebstherapie weiterentwickelt werden. (Bild: Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC)
Immunzellen (rot) attackieren Brustkrebszellen (grün) in einem 3D-Gewebemodel
Immunzellen (rot) attackieren Brustkrebszellen (grün) in einem 3D-Gewebemodell. Die Zellkerne sind blau. Immunfluoreszenzfärbung eines Gewebeschnitts. (Bild: Universitätsklinikum Würzburg)
Gesponnenes Vlies
Ein gesponnenes Vlies soll als lokale Trägermatrix für T-Zell-aktivierende Antikörper dienen. (Bild: Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC)

Seniorprofessur am UKW: Damit das Wissen nicht versandet

Prof. Dr. Claudia Sommer blickt auf 30 Jahre in der Neurologie zurück und beginnt ihre Seniorprofessur am Zentrum für interdisziplinäre Schmerzmedizin (ZiS)

Jens Volkmann im blauen Anzug neben Claudia Sommer in dunkler Hose und hellem Blazer stehen nebeneinander im Hörsaal der Neurologie  und lächeln in die Kamera.
Prof. Dr. Jens Volkmann, Direktor der Neurologischen Klinik und Poliklinik des UKW, verabschiedet Oberärztin Prof. Dr. Claudia Sommer, die ihre Forschung als Seniorprofessorin im Zentrum für interdisziplinäre Schmerzmedizin fortsetzt. © Brigitte May / UKW
Klaus Viktor Toyka steht am Rednerpult im Hörsaal, vor ihm ein großer bunter Blumenstrauße in einer Bodenvase.
Im März 1995 stellte Prof. Dr. Klaus Viktor Toyka, seinerzeit Direktor der Neurologie, Claudia Sommer als Oberärztin ein. Beim Symposium am 2. Mai 2025 hielt er anlässlich der Verabschiedung von Prof. Dr. Claudia Sommer ein Grußwort. © Brigitte May / UKW
Bild vom vollen Hörsaal der Neurologie, vorne im Bild Claudia Sommer, die mit dem Publikum gebannt nach vorn schaut.
Anlässlich ihrer Verabschiedung aus der Neurologie lud Prof. Dr. Claudia Sommer zum Symposium „30 Jahre Neurologin“ ein. Es gab Grußworte und Vorträge, die sich um die Forschung aus dieser Zeit, ihre Entwicklungen und zukünftigen Möglichkeiten rankten. © Brigitte May / UKW

Würzburg. Zu den ersten Aufgaben, die Claudia Sommer im März 1995 nach ihrem Dienstantritt in der Neurologie des Uniklinikums Würzburg (UKW) erhielt, zählte das Aufhängen von Rauchverbotsschildern. Doch die damals 36-jährige Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie weigerte sich. „Als neue Oberärztin wollte ich mich nicht gleich bei allen Raucherinnen und Rauchern unbeliebt machen“, erzählt sie. Für die nachfolgenden Generationen ist es heute unvorstellbar, dass einst überhaupt im Klinikgebäude geraucht wurde oder dass Ärztinnen und Ärzte ständig nach verlorenen Röntgenbildern durch das Haus liefen und abends nicht heimgehen durften, bevor sie die Laborzettel nicht eigenhändig in die Patientenakte geklebt hatten. Solche und weitere Anekdoten wurden am 2. Mai 2025 im voll besetzten Hörsaal der Kopfkliniken zum Besten gegeben. Prof. Dr. Claudia Sommer hatte Weggefährtinnen und Weggefährten zu einem Symposium eingeladen, um sich nach 30 Jahren gebührend zu verabschieden und einen Blick auf die aktuelle Forschung und potenzielle Entwicklungen zu werfen.

Weiterhin Sprecherin der Klinischen Forschungsgruppe ResolvePAIN

Claudia Sommer geht nämlich nicht wirklich. Sie ist von B1 den Berg hoch ins Gebäude A9 gezogen, von der Neurologie ins Zentrum für interdisziplinäre Schmerzmedizin (ZiS), wo sie sich mit Prof. Heike Rittner ein Zimmer teilt. Gemeinsam leiten die Medizinerinnen die Klinische Forschungsgruppe (KFO 5001) ResolvePAIN, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) inzwischen in der zweiten Förderperiode unterstützt wird (siehe Meldung vom 17.12.2024). Claudia Sommer ist nicht nur Projekte der Forschungsgruppe eingebunden, deren Sprecherin sie ist, sondern auch des Sonderforschungsbereichs SFB 1158 der Universität Heidelberg. Derzeit betreut sie acht naturwissenschaftliche Doktorandinnen und Doktoranden sowie circa 20 medizinische in verschiedenen Stadien der Dissertation.

Privileg einer Seniorprofessur

„Über das Privileg, als Seniorprofessorin weiterarbeiten zu dürfen, bin ich unendlich dankbar“, freut sich Claudia Sommer. Den Ortswechsel hält sie für wichtig, um der nachfolgenden Generation Platz zu machen. Aber es sei für sie schwer vorstellbar, „die tollen Kollegen und Kooperationspartner, die mich immer wieder intellektuell fordern, nicht mehr um sich zu haben. „Oder die vielen jungen Studierenden, die mit mir arbeiten wollen. Das ist doch wunderbar.“ Die Seniorprofessur sei keine Selbstverständlichkeit. Viele Kliniken böten ihren pensionierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nicht die Gelegenheit, im Rahmen einer Seniorprofessur weiterzuarbeiten. Dabei wäre es doch schade um das über all die Jahre angesammelte Wissen, das sonst versanden würde.

Meilensteine in der Erforschung von Schmerz, Polyneuropathien, Fibromyalgie und Stiff-Person-Syndrom

Claudia Sommer hat sich neben der Schmerzforschung vor allem im Bereich Polyneuropathien hervorgetan. Dabei handelt es sich um Erkrankungen des peripheren Nervensystems, also der Nerven außerhalb von Gehirn und Rückenmark. So hat sie mit ihrem Team beispielsweise einen Autoantikörper entdeckt, der die Ranvierschen Schnürringe zerstört. Diese Struktur befindet sich an den Nervenfasern und sorgt dafür, dass Signale aus dem Gehirn ihr Ziel erreichen. Inzwischen ist dies ein eigenes Forschungsgebiet geworden, in dem sich die Forscherinnen weltweit einen Namen gemacht haben. Zudem konnte Claudia Sommer zeigen, dass beim Stiff-Person-Syndrom Antikörper die Neurone angreifen. Ferner hat sie mit ihrer Forschung Fibromyalgie-Betroffene vom Stigma befreit, der chronische Schmerz hänge nur mit der Psyche zusammen.

Von Patientinnen und Patienten lernen und Forschungsfragen erhalten

Die gebürtige Pfälzerin wollte schon als Kind Forscherin werden. Ihre Forschungsfragen erhielt sie von den Patientinnen und Patienten, somit waren in ihrem gesamten Berufsleben Klinik und Forschung untrennbar miteinander verbunden. „Mich hat immer fasziniert, bei unerklärten Krankheiten, an die vielleicht kaum jemand glaubt, Mechanismen zu entdecken und zu zeigen, dass im Körper tatsächlich etwas passiert und wir das Phänomen ernst nehmen müssen.” Jede Patientin und jeder Patient war für sie ein Rätsel, das es zu lösen galt.

Als Seniorprofessorin darf sie Patientinnen und Patienten nur noch im Rahmen von Forschungsprojekten behandeln. „Das ist schade, aber die Patientinnen und Patienten in der Klinik sind gut versorgt. Ich habe sehr gute Nachfolgerinnen und Nachfolger.“ Was sie weniger vermissen werde, sei das Schreiben von Anträgen, das bisweilen sehr arbeitsintensiv, anstrengend und manchmal auch frustrierend gewesen sei. Doch sie ist schon wieder bei vielen Anträgen mit im Boot. „Mir fällt es schwer, bei spannenden Projekten nein zu sagen. Und solange ich noch Energie habe und es mir Spaß macht, warum nicht?“

Präsidentin der Peripheral Nerve Society und Herausgeberin des European Journal of Neurology

Auch andere Institutionen strecken ihre Fühler aus, jetzt, da sich herumgesprochen hat, dass sie in Zukunft mehr Zeit haben könnte. So wird sie ab Sommer 2025 zwei Jahre lang President Elect und weitere zwei Jahre Präsidentin Peripheral Nerve Society sein. Zudem unterstützt sie aktiv die GBS|CIDP Foundation International. Die weltweit tätige, gemeinnützige Organisation unterstützt Menschen, die vom Guillain-Barré-Syndrom (GBS), von der chronisch-entzündlichen demyelinisierenden Polyradikuloneuropathie (CIDP), von der multifokalen motorischen Neuropathie (MMN) und von verwandten Erkrankungen betroffen sind. Außerdem wird sie demnächst Herausgeberin des European Journal of Neurology sein, für das sie in den vergangenen Jahren stellvertretende Herausgeberin war.

Von ihrem Ziel, demnächst nur noch halbtags zu arbeiten, ist sie noch weit entfernt. Doch sie genießt bereits jetzt einige Freiheiten, die der Klinikalltag nicht zuließ. So ist es für sie ein unglaublicher Luxus, morgens vor der Arbeit Tennis zu spielen oder nach einem Kongress in Apulien eine Woche Urlaub in Italien dranzuhängen.

Bahnbrechende Fortschritte in der Behandlung von Schlaganfällen und Multipler Sklerose

Abgesehen von der Digitalisierung und rauchfreien Klinik stehen für sie auf der positiven Bilanz der vergangenen 30 Jahre in der Neurologie die Durchbrüche in der Behandlung von Schlaganfällen und Multipler Sklerose. „In meiner Zeit als Assistenzärztin war die Schlaganfallbehandlung Schicksal. Heute kann jeder, der rechtzeitig kommt, behandelt werden – dank des fantastischen Zusammenspiels von Verständnis dafür, was bei einem Schlaganfall passiert, und Technik zur Entfernung des Thrombus. Und die Diagnose Multiple Sklerose bedeutet heute nicht mehr automatisch einen frühen Tod. Dank moderner Therapien können viele Betroffene mit MS ein ganz normales Leben führen.“

Ihr Blick in die Zukunft ist vorsichtig optimistisch: Zwar ist es nicht ihr Forschungsgebiet, aber sie würde gern miterleben, wie ALS behandelt werden kann – eine schreckliche Krankheit, die Menschen plötzlich und unerwartet aus dem Leben reißt. Bei den immunologisch bedingten Neuropathien ist man ihrer Meinung nach auf einem sehr guten Weg. In der Schmerztherapie hofft sie, dass eine der vielen Ideen zu einem Medikament führen wird, das Schmerzen signifikant reduziert und kaum oder keine Nebenwirkungen hat. Im Moment können sie den Schmerz im Durchschnitt auf 50 Prozent senken. Doch damit ist sie nicht zufrieden. „Wenn der Schmerz als Warnzeichen keinen Sinn mehr macht, dann soll er ganz verschwinden.“ Claudia Sommer arbeitet daran.

Probandinnen und Probanden für verschiedene Studien gesucht

Die Forschung von Claudia Sommer, ihren Kolleginnen und Kollegen sowie Doktorandinnen und Doktoranden wäre nicht möglich, ohne das Mitwirken der Patientinnen und Patienten und gesunden Kontrollpersonen, die an den Studien teilnehmen. Das Engagement der Bürgerinnen und Bürger aus Würzburg und Umgebung ist erstaunlich gut, freut sich Claudia Sommer und bedankt sich bei allen bisherigen und zukünftigen Studienteilnehmenden für ihren oft selbstlosen Einsatz, mit dem sie maßgeblich zum Erkenntnisgewinn beitragen. Derzeit werden für verschiedene Studien gesunde Kontrollpersonen gesucht sowie Patientinnen und Patienten mit Migräne (siehe Meldung vom 28. März 2025)

Ein ausführliches Porträt über Prof. Dr. Claudia Sommer gibt es in der UKW-Serie #WomenInScience.

Text: Wissenschaftskommunikation UKW / KL 

Jens Volkmann im blauen Anzug neben Claudia Sommer in dunkler Hose und hellem Blazer stehen nebeneinander im Hörsaal der Neurologie  und lächeln in die Kamera.
Prof. Dr. Jens Volkmann, Direktor der Neurologischen Klinik und Poliklinik des UKW, verabschiedet Oberärztin Prof. Dr. Claudia Sommer, die ihre Forschung als Seniorprofessorin im Zentrum für interdisziplinäre Schmerzmedizin fortsetzt. © Brigitte May / UKW
Klaus Viktor Toyka steht am Rednerpult im Hörsaal, vor ihm ein großer bunter Blumenstrauße in einer Bodenvase.
Im März 1995 stellte Prof. Dr. Klaus Viktor Toyka, seinerzeit Direktor der Neurologie, Claudia Sommer als Oberärztin ein. Beim Symposium am 2. Mai 2025 hielt er anlässlich der Verabschiedung von Prof. Dr. Claudia Sommer ein Grußwort. © Brigitte May / UKW
Bild vom vollen Hörsaal der Neurologie, vorne im Bild Claudia Sommer, die mit dem Publikum gebannt nach vorn schaut.
Anlässlich ihrer Verabschiedung aus der Neurologie lud Prof. Dr. Claudia Sommer zum Symposium „30 Jahre Neurologin“ ein. Es gab Grußworte und Vorträge, die sich um die Forschung aus dieser Zeit, ihre Entwicklungen und zukünftigen Möglichkeiten rankten. © Brigitte May / UKW

Telemedizin gleicht Versorgungsnachteil aus

Telemedizin kann Leben retten – vor allem dort, wo der Weg zur kardiologischen Praxis weit ist. Eine neue Auswertung der vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) geförderten TIM-HF2-Studie zeigt dies eindrucksvoll: Herzinsuffizienz-Patientinnen und -Patienten, die weit von einer kardiologischen Versorgung entfernt leben, profitieren besonders stark von der telemedizinischen Überwachung. Ihre Sterblichkeit war bei der digitalen Fernüberwachung deutlich geringer. Die im Fachmagazin „Lancet Regional Health – Europe“ veröffentlichte Studie ist eine Kooperation der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Universitätskliniken in Würzburg und Hamburg und wurde beim Heart Failure Congress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie vorgestellt. Sie liefert wichtige Hinweise, wie Telemedizin helfen kann, Versorgungsungleichheiten zwischen Stadt und Land auszugleichen.

 

Die drei Autoren der Studie stehen in Anzügen vor der Bühne des HFA Kongresses.
Stefan Störk, Fabian Kerwagen und Friedrich Köhler (v.l.n.r.) stellten die aktuelle Studie am 18. Mai 2025, beim Heart Failure Congress der European Society of Cardiology in Belgrad vor. © privat
Patientin, die daheim am Wohnzimmertisch sitzt, misst ihren Blutdruck
Spezielle mit Sensoren ausgestattete Messgeräte übertragen die Gesundheitswerte der Herzinsuffizienz-Patientinnen und -Patienten täglich drahtlos an das Telemedizinzentrum der Charité – Universitätsmedizin Berlin, sodass auf auffällige Messwerte sofort reagiert und die Therapie frühzeitig angepasst werden kann. © DZHC
Karte aus der Publikation mit Vergrößerung der Region rund um Würzburg
Verteilung der Kardiologen und Patienten in Deutschland und exemplarisch für Würzburg. Die Karte veranschaulicht die Verteilung von Kardiologen und Patienten über Deutschland, einschließlich der Anfahrtswege für jeden Patienten. Das Beispiel Würzburg zeigt, dass Patienten aus verschiedenen Bezirken (Bezirksgrenzen innerhalb Unterfrankens sind mit dünnen weißen Linien dargestellt) und aus einem anderen Bundesland (Landesgrenzen sind mit dicken weißen Linien dargestellt) in Würzburg behandelt wurden. RPM = remote patient management, UC = Usual Care. © Kerwagen et al, The Lancet Regional Health – Europa, 2025, https://doi.org/10.1016/j.lanepe.2025.101321
Drei Grafiken aus der Publikation
Primäre und wichtige sekundäre Endpunkte nach der Entfernung zwischen dem Wohnort des Patienten und dem Standort des Kardiologen. RPM, Fernbehandlung des Patienten; UC, übliche Behandlung. Die schwarzen Linien stellen das Ratenverhältnis (Tafel a: primärer Endpunkt) und die Hazard Ratios (Tafeln b und c: wichtige sekundäre Endpunkte) dar. Die entsprechenden 95 %-Konfidenzintervalle sind durch blau schattierte Bereiche gekennzeichnet. Die grün gepunktete Linie zeigt die Gleichheitslinie an. Wie dargestellt, hängen die Behandlungseffekte von der individuellen Entfernung in Kilometern (km) zwischen dem Wohnort des Patienten und dem Kardiologen ab. Zur Veranschaulichung wurde die Entfernung bei 100 km abgeschnitten, während die geschätzten Kurven auf dem gesamten beobachteten Bereich basieren. © Kerwagen et al, The Lancet Regional Health – Europa, 2025, https://doi.org/10.1016/j.lanepe.2025.101321

Berlin / Hamburg / Würzburg. Bereits im Jahr 2018 zeigte die im Fachmagazin The Lancet veröffentlichte Studie TIM-HF2 (Telemedical Interventional Management in Heart Failure II), dass durch telemedizinische Unterstützung das Leben von Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz in Deutschland verlängert und die Zahl der Wiedereinweisungen in Krankenhäuser reduziert werden kann. Die Ergebnisse der kontrollierten multizentrischen Versorgungsforschungsstudie unter der Leitung von Prof. Dr. Friedrich Köhler vom Deutschen Herzzentrum der Charité (DHZC) haben maßgeblich dazu beigetragen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im Jahr 2020 die telemedizinische Versorgung von Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittener Herzschwäche in die ambulante Versorgung der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen hat.

Telemonitoring wirkt unabhängig von der Pumpfunktion

Dass nicht nur Patientinnen und Patienten mit deutlich eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion (LVEF) von diesem gesetzlichen Versorgungsanspruch einen Vorteil haben, zeigt eine sogenannte prästratifizierte Sekundärauswertung der Studie, die das DHZC gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI) und dem Institut für Biometrie und Epidemiologie des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (IMBE) im Juni 2023 im European Journal of Heart Failure veröffentlichte. Denn auch Patientinnen und Patienten mit erhaltener Pumpfunktion (kurz „HFpEF“ für Heart Failure with preserved Ejection Fraction) oder nur leicht reduzierter Pumpfunktion (kurz „HFrEF“ für Heart Failure with reduced Ejection Fraction) profitierten von der Rund-um-die-Uhr-Fernüberwachung. „Unsere Studienergebnisse haben unter anderem dazu geführt, dass die Bundesärztekammer und der Verband der Privaten Krankenversicherung eine Abrechnungsempfehlung für den Einsatz von Telemonitoring vereinbart haben, und zwar auch bei diastolischer Herzinsuffizienz“, berichtet Friedrich Köhler.

Doch wie funktioniert eine telemedizinische Betreuung? Im Rahmen der TIM-HF2-Studie übertrugen zum Beispiel spezielle mit Sensoren ausgestattete Messgeräte täglich Gesundheitswerte wie EKG, Sauerstoffsättigung, Blutdruck und Körpergewicht von Herzinsuffizienz-Patientinnen und -Patienten aus ganz Deutschland drahtlos an das Telemedizinische Zentrum (TMZ) am DHZC. Das TMZ-Team, bestehend aus Ärztinnen und Ärzten sowie spezialisierten Herzinsuffizienz-Pflegekräften, reagierte sofort auf auffällige Messwerte und konnte die Therapie frühzeitig anpassen.

Wer profitiert am meisten von der Telemedizin? Patienten auf dem Land, in der Stadt, oder die mit einem langen Weg zum Kardiologen?

In einer weiteren Auswertung der TIM-HF2 Studiendaten wurden nun die Auswirkungen der Telemedizin unter drei neuen Gesichtspunkten untersucht: Wo praktiziert der Kardiologe? Wo wohnt der Patient? Und wie lang ist der Weg vom Wohnort zur kardiologischen Praxis? Also, wer profitiert am meisten von der Telemedizin – Patienten auf dem Land, in der Stadt, oder mit einer langen Autofahrt zum Kardiologen? Als Vergleich diente die Gruppe, die ohne telemedizinische Betreuung behandelt wurde.

„Die gute Nachricht ist zunächst, dass es bei der kardiologischen Behandlung keinen signifikanten Unterschied macht, ob die Patientinnen und Patienten auf dem Land oder in der Stadt leben. Die Behandlungsqualität ist in Praxen und Kliniken auf dem Land genauso gut wie in Großstädten“, erklärt Erstautor Dr. Fabian Kerwagen, Clinician Scientist am Uniklinikum Würzburg (UKW). Als Großstadt wurde eine Stadt mit mehr als 200.000 Einwohnern oder einer Universitätsklinik definiert. Von größerer Relevanz war jedoch die Wegstrecke. „Wir sehen, dass die individuelle Entfernung zwischen Wohnort und Praxis einen deutlichen Unterschied macht: Je weiter die Patientinnen und Patienten von ihrer kardiologischen Praxis entfernt wohnten, desto mehr profitierten sie von der telemedizinischen Betreuung“, so Kerwagen. Um die Entfernung zu berechnen wurde für sämtliche 1538 Studienteilnehmenden die schnellste Route mit dem Auto ermittelt.

Je weiter entfernt die Menschen wohnten, desto geringer war die Mortalität bei telemedizinischer Betreuung

Es ist bekannt, dass es in ländlichen Regionen die Häufigkeit kardiovaskulärer Erkrankungen, aber auch die kardiovaskulär bedingte Sterblichkeit höher ist. In Städten liegt die durchschnittliche Eintreffzeit des Rettungsdienstes oft unter zehn Minuten – auf dem Land kann sie 20 Minuten und mehr betragen. Das klare Ergebnis und die signifikanten Auswirkungen der Telemedizin auf die Gesundheit dieser Gruppe mit langen Anfahrtswegen hat das Studienteam dennoch überrascht. So zeigt ein Diagramm der Studie, die jetzt im Fachmagazin „Lancet Regional Health–Europe“ veröffentlicht wurde: Je weiter entfernt die Menschen wohnten, desto größer war der durch die telemedizinische Betreuung vermittelte günstige Effekt auf Sterblichkeit und Hospitalisierungshäufigkeit.

Telemedizin kann medizinische Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sicherstellen

Stefan Störk, Leiter der Herzinsuffizienz-Ambulanz und Klinischen Forschung am DZHI, freut sich, dass sie mit dieser Studie erstmals den positiven Effekt der Telemedizin auf ihre weiter entfernt lebenden Patientinnen und Patienten zeigen konnten: „Telemedizin kann durchaus eine Brücke bauen und dazu beitragen, den Versorgungsnachteil von Menschen, die weit entfernt von einer kardiologischen Praxis wohnen, auszugleichen.“ Der Kardiologe und sein Team setzen sich schon lange für den digitalen Versorgungsansatz ein. Schließlich erfordert das komplexe Krankheitsbild der Herzinsuffizienz eine umfassende Betreuung. Entsprechend groß war die Resonanz, als Stefan Störk als korrespondierender Autor der Studie die Ergebnisse der Sekundärauswertung am 18. Mai 2025 in der Late Breaking Science Session auf dem diesjährigen Heart Failure Congress der European Society of Cardiology (ESC) in Belgrad (Serbien) vorstellte.

Durch Data-Sharing konnten 18 Paper nach der Primärpublikation erstellt werden

Friedrich Köhler ist mit gutem Grund stolz auf seine TIM-HF2-Studie, die einst vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) unterstützt wurde. „Öffentlich geförderte Projekte verlangen Data-Sharing”, so Köhler. „Indem wir unsere Daten geteilt haben, konnten nach der primären Publikation in verschiedenen Kooperationen bisher 18 Paper veröffentlicht werden, deren Ergebnisse die Gesundheitsversorgung und die Lebensqualität vieler Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz maßgeblich beeinflussen.“


Publikation:
Fabian Kerwagen, Stefan Störk, Kerstin Koehler, Eik Vettorazzi, Maximilian Bauser, Jasmin Zernikow, Gina Barzen, Meike Hiddemann, Jan Gröschel, Michael Gross, Christoph Melzer, Karl Stangl, Gerhard Hindricks, Friedrich Koehler, Sebastian Winkler, Sebastian Spethmann. Rurality, travel distance, and effectiveness of remote patient management in patients with heart failure in the TIM-HF2 trial in Germany: a pre-specified analysis of an open-label, randomised controlled trial. The Lancet Regional Health - Europe, 2025, 101321, ISSN 2666-7762, https://doi.org/10.1016/j.lanepe.2025.101321

Text: Wissenschaftskommunikation UKW / KL
 

Die drei Autoren der Studie stehen in Anzügen vor der Bühne des HFA Kongresses.
Stefan Störk, Fabian Kerwagen und Friedrich Köhler (v.l.n.r.) stellten die aktuelle Studie am 18. Mai 2025, beim Heart Failure Congress der European Society of Cardiology in Belgrad vor. © privat
Patientin, die daheim am Wohnzimmertisch sitzt, misst ihren Blutdruck
Spezielle mit Sensoren ausgestattete Messgeräte übertragen die Gesundheitswerte der Herzinsuffizienz-Patientinnen und -Patienten täglich drahtlos an das Telemedizinzentrum der Charité – Universitätsmedizin Berlin, sodass auf auffällige Messwerte sofort reagiert und die Therapie frühzeitig angepasst werden kann. © DZHC
Karte aus der Publikation mit Vergrößerung der Region rund um Würzburg
Verteilung der Kardiologen und Patienten in Deutschland und exemplarisch für Würzburg. Die Karte veranschaulicht die Verteilung von Kardiologen und Patienten über Deutschland, einschließlich der Anfahrtswege für jeden Patienten. Das Beispiel Würzburg zeigt, dass Patienten aus verschiedenen Bezirken (Bezirksgrenzen innerhalb Unterfrankens sind mit dünnen weißen Linien dargestellt) und aus einem anderen Bundesland (Landesgrenzen sind mit dicken weißen Linien dargestellt) in Würzburg behandelt wurden. RPM = remote patient management, UC = Usual Care. © Kerwagen et al, The Lancet Regional Health – Europa, 2025, https://doi.org/10.1016/j.lanepe.2025.101321
Drei Grafiken aus der Publikation
Primäre und wichtige sekundäre Endpunkte nach der Entfernung zwischen dem Wohnort des Patienten und dem Standort des Kardiologen. RPM, Fernbehandlung des Patienten; UC, übliche Behandlung. Die schwarzen Linien stellen das Ratenverhältnis (Tafel a: primärer Endpunkt) und die Hazard Ratios (Tafeln b und c: wichtige sekundäre Endpunkte) dar. Die entsprechenden 95 %-Konfidenzintervalle sind durch blau schattierte Bereiche gekennzeichnet. Die grün gepunktete Linie zeigt die Gleichheitslinie an. Wie dargestellt, hängen die Behandlungseffekte von der individuellen Entfernung in Kilometern (km) zwischen dem Wohnort des Patienten und dem Kardiologen ab. Zur Veranschaulichung wurde die Entfernung bei 100 km abgeschnitten, während die geschätzten Kurven auf dem gesamten beobachteten Bereich basieren. © Kerwagen et al, The Lancet Regional Health – Europa, 2025, https://doi.org/10.1016/j.lanepe.2025.101321